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Feuer und Flamme für Carmen

  • oliversdrojek
  • 21. Juli 2021
  • 6 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Okt. 2021

Interview mit Kurt Grötsch, Direktor des Flamenco Tanz Museums in Sevilla


Im Herzen der andalusischen Hauptstadt bietet das „Museo del Baile Flamenco“ die Gelegenheit, Spaniens berühmteste Form der Darstellenden Kunst in all ihren Facetten zu entdecken. Die kulturelle Institution ist die Krönung des Lebenswerks der renommierten Tänzerin und Choreografin Cristina Hoyos. Geleitet wird das Museum von dem gebürtigen Franken Kurt Grötsch. Der Direktor, 1954 in Fürth geboren, empfängt uns in der Altstadt von Sevilla in seinem geräumigen Büro im zweiten Stock des Museums, das in einem Stadtpalast aus dem 18. Jahrhundert liegt und mit Kunstwerken rund um das Thema Flamenco dekoriert ist. Im Interview berichtet Kurt Grötsch über die Entstehung des Museums, die Auswirkungen der Pandemie auf die Flamencoszene und den Neustart des Museums.


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Herr Grötsch, tanzen Sie selbst Flamenco?

Kurt Grötsch: Kann ich nicht, aber auch keinen Walzer oder ähnliches, da mein Rhythmusgefühl ca. 15 Minuten später nach der Musik einsetzt, ich bin dann wohl hoffnungslos aus dem Takt. Ich höre und sehe lieber zu. Ich habe in den letzten Jahren rund 7000 Aufführungen genossen und mich dabei kein einziges Mal gelangweilt, da jedes Flamencodarbietung anders ist.

Kurt Grötsch Direktor Flamenco Tanz Museum Sevilla
2020 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet: Dr. Kurt Grötsch

Der Direktor des weltweit einzigen Flamenco-Tanzmuseums ist ein Deutscher. Wie kam es dazu?

Kurt Grötsch: In den 1980er Jahren war ich Dozent für Hispanistik an der Uni Erlangen. Damals sah ich in Nürnberg in einem Autorenkino den Film „Carmen“ von Carlos Saura. Ein Freund sagte mir „Schau nicht nur auf die junge Tänzerin. Schau auf die andere. Die tanzt besser“. Und das war Cristina Hoyos. Ihre Ausdruckskraft machte einen tiefen Eindruck auf mich. Erst durch den Film erfuhr ich, dass die 1946 in Sevilla geborene Cristina Hoyos Spaniens berühmteste Tänzerin war. Wenige Jahre darauf ging ich nach Madrid, wo ich einen Master für Business Administration machte und die Tandem-Sprachschulen leitete. Über kulturelle Aktivitäten mit dem Goethe-Institut lernte ich meine heutige Frau kennen. Sie stammt aus Sevilla und managte damals das Ballett von Antonio Gades. Erst als ich nach Sevilla zog, stellte sich heraus, dass sie die Nichte von Cristina Hoyos war.


Was für ein Zufall. Zu jener Zeit waren Antonio Gades und Cristina Hoyos Spaniens berühmteste Tanzinterpreten. Beide feierten Triumphe auf internationalen Bühnen, wirkten in den Filmen von Carlos Saura mit.

Kurt Grötsch: Cristina Hoyos, 1946 in Sevilla geboren, trat damals mit ihrem Ballett als erste Flamencotänzerin in der Oper von Paris auf und schuf eine Carmen-Choreografie für das Londoner Opernhaus mit Zubin Metha am Dirigentenpult. In dieser Zeit ging ich nach Sevilla, um an der Vorbereitung der Weltausstellung Expo 92 mitzuwirken. Im Sommer 1992 trat Cristina Hoyos bei der Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele von Barcelona auf. Mir fiel auf, dass vor allem Andalusien, aber auch Spanien im Allgemeinen, mit Flamenco identifiziert wird, sich mit Flamenco darstellt, Flamenco verkauft, es aber an einer inhaltlichen Aufbereitung fehlte. Als Kulturgut war Flamenco vernachlässigt. Daraus entstand die pädagogische Überlegung, den Besuchern Andalusiens mehr über Flamenco zu erzählen. Zum Beispiel, dass die Urgeschichte des Tanzes vor 3000 Jahren begann. Zusammen mit Cristina Hoyos und meiner Frau reifte die Idee, ein Museum in Sevilla zu gründen.


Cristina Hoyos Flamenco Tanz Museum Sevilla
Die Gründerin und Inhaberin des Museums: Flamenco-Legende Cristina Hoyos

Das war lange bevor die UNESCO den Flamenco zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärte.

Kurt Grötsch: Diese Anerkennung gibt es seit 2010. Mit unseren konkreten Planungen für das Museum hatten wir 15 Jahre vorher begonnen. Von Anfang an wollten wir den kulturtouristischen Aspekt miteinbeziehen. Wir begaben uns auf die Suche nach einem repräsentativen Gebäude nahe der Kathedrale von Sevilla. Wir entschieden uns für einen typisch andalusisches Stadtpalast mit Patio und hohen Decken. Es war damals eine Ruine und durfte nur für kulturelle Zwecke restauriert werden. 2002 bildeten wir ein Team mit Spezialisten. Mit dabei waren Forscher vom Zentrum für Flamenco-Studien in Jerez. Nach einer langwierigen Restaurierung konnten wir das Museum 2006 eröffnen.


Flamenco Tanz Museum Sevilla
Kreativ in jeder Hinsicht: Kunst rund ums Thema Flamenco

Das Museum ist eine private Einrichtung. Wie wurde es finanziert?

Kurt Grötsch: Mit Mitteln, die Cristina Hoyos bereitstellte, und über einen Bankkredit. Die Gesamtinvestition beträgt 5,5 Millionen Euro, zuzüglich der laufenden Kosten. Das muss erwirtschaftet werden. Die EU hat einen Beitrag von 8% geleistet. Vom Land Andalusien und der Stadt Sevilla kamen keine Mittel. Die Entstehung des Museums war vor allem eine unternehmerische Leistung von Cristina Hoyos.


Wie ist die Bilanz nach 15 Jahren? Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?

Kurt Grötsch: Die ersten Jahre waren hart. Cristina Hoyos hat das Museum gestiftet, finanziert und gegründet. Sie wurde aber schnell von der südspanischen Rechtspartei angegriffen. Man unterstellte ihr, eine verdeckte Finanzierung durch die andalusische Landesregierung (damals von den Sozialisten gestellt) erhalten zu haben. Daraus entstand eine Polemik über die Höhe des Eintrittsgeldes. Das war eine dreifache Diskriminierung: Zunächst als Frau, dann aus sehr armen Verhältnissen und zudem eine Flamencotänzerin kann und durfte einfach keine erfolgreiche Unternehmerin sein. Dank ihres internationalen Erfolgs schaffte sie es zu einem Wohlstand, den sie fast vollständig in das Museum investiert hat.


Neid? Politische Intrigen?

Kurt Grötsch: Wohl beides. Was den Start des Museums enorm erschwerte. Wir wurden von der führenden rechtskonservativen Tageszeitung angegriffen. Cristina Hoyos wehrte sich und klagte gegen Verleumdung. Am Ende war der Richter der Meinung, dass eine öffentliche Person derartige Angriffe aushalten müsse. Mit dem Museum ging es aber trotzdem voran. 2018 und 2019 hatten wir über knapp 200.000 Besucher jährlich. In unseren täglich bis zu 8 Shows gelingt es uns auf Grund der Choreografien und der künstlerischen Leitung von Cristina Hoyos die Substanz des Flamencogefühls, den Duende erlebbar zu machen. Zudem gründeten wir den Verlag „Flamenco Sapiens“. In Ausstellungen zeigten wir, welche Einflüsse der Flamenco auf andere Kunstformen wie Malerei hat. Wir haben uns eigentlich nie als ein klassisches Museum verstanden, sondern als ein Kulturdienstleistungsunternehmen, das einen Beitrag zur Profilierung, Ausbildung und Professionalisierung der Flamencoszene leistet. Deshalb stiften wir einen Preis, der an Unternehmen geht, die den Flamenco begleiten und auch wirtschaftlich möglich machen, zum Beispiel den Online-Shop „Flamenco Tickets”. Zusammen mit Psychologen aus Spanien und dem Ausland helfen wir psychisch kranken Menschen mit Flamenco-Therapie.


Flamenco als Therapie?

Kurt Grötsch: Flamenco ist tief emotional. Der Tanz hilft Menschen zum Beispiel mit Autismus, und anderen schweren psychischen Problemen. Unsere Workshops in Kooperation mit den Kliniken Sevillas sind das Ergebnis der Zusammenarbeit von Tanzlehrern und Psychologen.


Flamenco Tanz Museum Sevilla
Intime Atmosphäre: VIP-Show im Keller des Museums

Nach 16 Monaten Corona-Pandemie sieht man in Sevilla auch wieder verstärkt Besucher aus dem Ausland. Wie haben Sie diese schwierige Zeit überstanden?

Kurt Grötsch: Die Flamenco-Szene in ganz Spanien leidet. Wir haben es mit einer ökonomischen, aber auch schweren künstlerischen Krise zu tun. Viele Musiker und Tänzer sind verarmt. Sie leben am Rand der Gesellschaft und haben keine sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse. Wir mussten mit Lebensmitteln unterstützen. Vor Corona gab es in Spanien 96 Tablaos, also Bühnen mit regelmäßigem Spielbetrieb, die meisten in Sevilla, Madrid, Barcelona, Granada, Córdoba und Cádiz. Einige haben für immer zugemacht, vor allem auch so klassische Lokale wie Casa Patas in Madrid.


Wie sieht es mit staatlicher Unterstützung aus?

Kurt Grötsch: Die gibt es nicht. Corona zeigt: Flamenco ist noch immer Underground in Spanien. Es wurde kein einziges Hilfsprogramm aufgelegt. Deshalb wurde auf Grund meiner Initiative der Verband der spanischen Flamenco-Lokale gegründet. Wir fordern Hilfe für eine Branche, die vor Corona rund 6 Millionen Besucher aus dem Ausland bedient hat und von offizieller Seite gern als Aushängeschild benutzt wird, als Bestandteil der „Marke Spanien“. Auf internationalen Messen und Foren schmückt sich Spanien gern mit Flamenco. Aber es gibt seitens der Politik keine Bemühungen, die Protagonisten des Flamencos vor den verheerenden Auswirkungen der Krise zu schützen.

Die Branche ist auf den Tourismus angewiesen. Wie ist das Verhältnis der Spanier zum Flamenco?

Kurt Grötsch: Man muss da unterscheiden zwischen Andalusien und dem Rest des Landes. Hier in Südspanien sind Volksfeste ohne Flamenco nicht zu denken. Das ist gelebte Tradition, die ist tief verwurzelt und braucht keine professionellen Künstler. Dass da mal jemand sagt: Heute Abend gönne ich mir guten Flamenco, das findet eigentlich kaum statt in Spanien. Eher noch in Madrid, Barcelona als in Sevilla. Aber normalerweise geht ein Spanier nicht in einen Tablao.


Sie sagen, es handele sich nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern auch künstlerische Krise. Warum?

Kurt Grötsch: Vor allem die Tänzer brauchen die Tablaos. Ohne die Lokale können sie nicht trainieren. Flamenco-Tänzer sind Hochleistungssportler, ohne regelmäßiges Training verlieren sie Kraft, Schnelligkeit und Flexibilität. Professionelles Training ist zuhause nicht möglich, allein schon aus Platzgründen und wegen der Nachbarn. Tänzer brauchen das Gegenüber, den Partner. Flamenco ist Paartanz, auch wenn die Tänzer sich nicht berühren. Natürlich haben auch Gitarristen und Sänger ein Problem, wenn die Probestätten geschlossen sind, aber weniger als die Tänzer.


Flamenco Tanz Museum Show
Ausdrucksstark: Weltkulturerbe Flamenco

Flamenco gilt als Ausdrucksform der Gitanos, der spanischen Zigeuner. Muss man Gitano sein, um gut Flamenco zu tanzen?

Kurt Grötsch: 60 bis 70 Prozent der Tänzerinnen sind nicht Zigeuner. Das hat ökonomische Gründe: Eine professionelle Tanzausbildung ist teuer. Die Tänzer bezahlen ihre Ausbildung selbst. Eine besondere Investition ist die Zusammenarbeit mit einem Maestro, um eine eigene Choreografie zu entwickeln. Ein Tänzer braucht mindestens 10.000 Trainingsstunden, um ein professionelles Niveau zu erlangen. Singen ist billiger, auch Gitarre. Man lernt es in der Familie. Deshalb sind auch heute noch die meisten Musiker Gitanos, die Tänzer und Tänzerinnen aber nicht. Trotzdem, die herausragenden Flamenco Künstler sind Andalusier. Das Umfeld, die lokalen Kulturen, die Künstlerfamilien schaffen dieses Lebensgefühl, das man nicht in Schulen vermitteln kann, man wird in ihm geboren.


Wie geht es jetzt weiter mit dem Museum?

Kurt Grötsch: Wir haben die Zeit der pandemiebedingten Schließung genutzt und neue Technologien installiert, u.a. Touchscreens und eine 13 Meter lange LED-Wall, die ein interaktives, sehr intensives Kulturerlebnis ermöglichen. Wir haben vor, das Museum zum Herbst hin vorsichtig zu öffnen, da wir bereits etliche Reservierungen von Gruppen haben. Ein regulärer Museumsbetrieb wird wohl erst wieder 2022 möglich sein, weshalb wir weitere Reserven mobilisieren müssen, um bis dahin durchzuhalten.


Flamenco Tanz Museum Sevilla Patio
Typisch andalusisch: der zentrale Patio des Museums


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