Das Fass ist voll
- oliversdrojek
- 10. Juli 2024
- 10 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 15. Juli 2024

Demonstranten in Barcelona zielen mit Wasserpistolen auf Touristen. Die Aktion war der vorläufige Höhepunkt einer Protestwelle gegen Massentourismus, die seit Anfang des Jahres über das Land schwappt. Auf den Kanaren und Balearen, in Andalusien und selbst am Jakobsweg fordern immer mehr Menschen „Basta!“. Sind Urlauber in Spanien noch willkommen?
Die junge Frau mit Sonnenbrille schreit aus voller Kehle: „Tourists Go Gome“. Mit einer quietschgrünen Wasserpistole zielt sie auf die Gäste einer Restaurantterrasse. „Wut auf Touris - Spanier verjagen Urlauber“, titelt Bild online. Offenbar verfehlten einige Schützen*innen ihr Ziel nicht: Auf einem Video der Nachrichtenagentur Reuters bringen sich Restaurantgäste bei Paella, Sangria und Eisbecher in Deckung und ziehen sich in die Innenräume zurück. Die britische Daily Mail berichtet unter der Headline „Ungrateful Squirts“ von einem wütenden Mob und sucht nach Opfern („Were you sprayed by protestors?“).

Keine Ferienwohnungen in BCN ab 2029
Die Demo war von einer Plattform mit 140 verschiedenen sozialen und politischen Gruppen unter dem Motto „Basta! Tourismus zurückfahren“ einberufen worden. Nach Angaben der Polizei mobilisierte sie 2.800 Menschen, die ausgehend von den Ramblas durch das Hafenviertel zogen. Laut Veranstalter und Augenzeugenberichten waren es deutlich mehr. Neben Plakaten mit Slogans wie „Barcelona wird nicht verkauft“ und „Nachbarn vom Aussterben bedroht“ waren feministische Symbole ebenso präsent wie die Fahnen Palästinas und der katalanischen Separatisten. Auch der Eingang eines Luxus-Hotels wurde mit Klebeband abgesperrt. Dahinter steht eine Gästegruppe in Abendgarderobe mit Sektglas, aus ihr heraus ruft eine Frau in die Menge „Wir sind Katalanen. Das hier ist eine Hochzeit“. Böller werden gezündet, es droht Eskalation, die Polizei muss einschreiten. Bei der Abschlussveranstaltung nahe des Barceloneta-Strandes bemühen sich die Sprecher um Konstruktivität. Es werden dreizehn Maßnahmen präsentiert, mit denen die negativen Begleiterscheinungen gelindert werden sollen. Dazu zählen der Stopp für den geplanten Ausbau des Flughafens (2023: Millionen 49 Millionen Fluggäste inklusive Transit), eine Ausgabensperre für öffentliche Tourismuswerbung sowie die Verwendung der Tasa Turística für eine Verbesserung der kommunalen Bürgerdienste. Derzeit bezahlen Barcelona-Besucher an die Stadt und die Autonome Region Katalonien je nach Unterkunftskategorie insgesamt bis zu sieben Euro pro Tag und Person. Auch der Bürgermeister, seit Juni 2023 im Amt, bekam sein Fett ab: „Collboni, lass Dich von Louis Vuitton wählen“, war einer der noch harmloseren Slogans gegen den Stadtoberen. Dabei hatte der Sozialist erst drei Wochen zuvor die in Spanien bisher drastischste Maßnahme gegen den Overtourism angekündet: Die vollständige Abschaffung von Ferienwohnungen in der katalanischen Hauptstadt bis Ende 2028. Medienwirksam versprach Collboni, die derzeit 10.100 offiziell registrierten Ferienappartements in den regulären Miet- und Kaufmarkt einzufügen. Er will damit die seit Jahren nach oben drehende Preisspirale stoppen (plus 68 Prozent bei den Mieten, 38 Prozent bei den Kaufpreisen seit 2014) und „das Recht garantieren, in Barcelona zu leben“.
Zehntausend Touristenappartements in einer Metropole mit 1,7 Millionen Einwohnern und über 790.000 Wohnungen: Auf den ersten Blick sieht das nicht nach einem gravierenden Ungleichgewicht aus. Aber die tatsächliche Anzahl sowie die Bettenkapazität sind um ein Vielfaches höher. Die Agentur Mabrian Technologies, die Unternehmen und Verbände weltweit mit touristischem Datenmaterial versorgt, beziffert die Kapazität auf 56.700 Plätze. Hotelbetten zugerechnet, könne Barcelona 84.000 Touristen pro Tag beherbergen, so Carlos Cendran von Mabrian. Allein auf Airbnb wurden zu Beginn der Hochsaison 54.000 Betten gezählt. Gegen derartig hohe, auch von anderen Experten beleuchtete Dunkelziffern will Bürgermeister Collbini jetzt mit mehr Kontrolle und Inspektionen zu Felde rücken.

Wachstum ohne Grenzen
Gemäß des offiziellen Tourismusobservatoriums 2023 übernachteten 15,6 Millionen Besucher in Barcelona. On top kommen die Kreuzfahrt-Gäste. 2023 gingen laut spanischen Transportministerium über 3,5 Millionen Passagiere in der von Freddy Mercury und Montserrat Caballé besungenen Stadt an Land, 50 Prozent mehr als im Vorjahr, allen Bemühungen der 2023 abgewählten Bürgermeisterin zum Trotz, den Zuwachs zu begrenzen. Stoßweise sorgen die Kreuzfahrer aus aller Herren Länder für zusätzlichen Massenandrang, vor allem auf den Ramblas. Den berühmten Boulevard haben viele Einheimische schon seit langem abgeschrieben. „Zu voll, zu laut, zu teuer, gefährlich ”, kommentiert der Verkaufschef einer katalanischen Hotelkette, der ungenannt bleiben will. Der Opernfreund wohnt außerhalb und sucht die von Taschendieben bevölkerten Ramblas nur anlässlich von Aufführungen im traditionsreichen Gran Teatro del Liceo auf.
Ungebrochen ist der touristische Wachstumskurs nicht nur in Barcelona, sondern überall in Spanien, wo es schön und sonnig ist, und nicht nur dort. Auf der Internationalen Tourismusmesse Berlin (ITB) spulte die zuständige spanische Staatssekretärin wie jedes Jahr die neuesten Rekordzahlen ab: 85 Millionen ausländische Besucher und ein sattes Plus bei den Einnahmen. Tendenz 2024: steigend. Weltweit wird nur Frankreich von mehr Touristen besucht. Die beliebtesten spanischen Ziele sind Katalonien, die Balearen und Kanaren, gefolgt von Andalusien und der Region Valencia mit der Costa Blanca. Insgesamt setzte die Branche nach Angaben des Verbandes Exceltur im vergangenen Jahr 186 Milliarden Euro um, das sind 12,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Auch für den Arbeitsmarkt ist die Branche mit über 3 Millionen regulär Beschäftigen (15 Prozent aller Arbeitnehmer) so wichtig wie noch nie. Nicht eingerechnet sind die indirekten Einnahmen und Beschäftigten derjenigen Branchen, die dem Tourismus zuliefern oder in anderer Form von ihm profitieren (Bau, Handwerk, Handel, Agroindustrie etc.).
Archipel am Limit
Auf den Kanarischen Inseln mit 2,1 Millionen Einwohnern und 14 Millionen Urlaubern ist die Abhängigkeit vom Fremdenverkehr mit 35 Prozent des BIP und 40 Prozent der Arbeitsplätze besonders hoch (Stand 2023). Trotz oder gerade deshalb nahm die aktuelle Protestwelle dort ihren Anfang. Am 20. April demonstrierten auf allen sieben Inseln der Autonomen Region zeitgleich so viele Menschen wie nie zuvor (100.000 laut Veranstalter, 57.000 laut Polizei). Unter dem Motto „Die Kanaren haben ein Limit – für ein neues Modell“ forderten die Menschen Baustopps für Resorts, Begrenzungen für Ferienwohnungen und die Regulierung des von ausländischen Käufern dominierten Immobilienmarktes. Verlangt wurde auch eine Touristensteuer, wie es sie in Spanien bisher nur in Katalonien und auf den Balearen gibt. Die Wut vieler Kanarier hat handfeste Gründe: Die Kombination aus landesweit unterdurchschnittlichen Löhnen und hoher Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und überdurchschnittlichen Kauf- und Mietpreisen auf der anderen Seite lässt viele, insbesondere junge Menschen verzweifeln. Viele, die auf Teneriffa und Gran Canaria in den Touristenhotspots des sonnigen Südens schuften, sind Pendler, die im Norden leben und den halben Tag im Stau stecken. Einen effizienten ÖPNV gibt es nicht. Kritisch ist die Lage auch auf Fuerteventura und Lanzarote, wo das Ungleichgewicht zwischen Ferienwohnungen und bezahlbarem Wohnraum besonders krass ist. Auch auf den kleinsten Inseln La Gomera und El Hierro, die wegen ihrer paradiesischen Natur hauptsächlich von Wanderfreunden besucht werden, solidarisierten sich mehrere Hundert Menschen mit den Forderungen der Plattform. Der massive Prostest zeigt Wirkung: Fernando Clavijo, Präsident der Autonomen Region, stimmte nach anfänglichen Warnungen vor „Tourismusphobie“ und Negativschlagzeilen einen nachdenklichen Ton an. Man müsse über das bisherige Wirtschaftsmodell nachdenken und sich fragen, "für wie viele Menschen Platz auf diesen Inseln" sei. Die regionale Tourismusministerin versprach, das Wohnungsproblem anzugehen und verwies auf entsprechende Gesetzesentwürfe mit mehr Restriktionen für Ferienwohnungen.
Strandbesetzer auf Mallorca
Auch auf den Balearen mit 1,2 Millionen Einwohnern und einer Prognose von über 18 Millionen Urlaubern für 2024, soll es nicht mehr so weitergehen wie bisher. Die wirtschaftlichen Eckdaten und der Lebensstandard sind auf Mallorca, Ibiza und Formentera zwar besser als auf den Kanaren, aber die Wohnungsnot spitzt sich zu. Schon seit Jahren berichten die spanischen Medien von Menschen, die in Hotels, Restaurants, Schulen und Krankenhäusern arbeiten, aber in Wohnwagen, Zelten oder Garagen übernachten. Gegen die Missstände zogen in Palma am 25. Mai nach offiziellen Angaben 10.000 Menschen (25.000 laut Veranstalter) durch die Straßen und riefen „Basta!“. Auch dort stand die ungebremste Expansion der Ferienwohnungen im Focus, aber nicht nur. Erst zwei Tage vor der Kundgebung waren vier Menschen, darunter zwei Deutsche, an der Playa de Palma bei einem Restaurant-Einsturz ums Leben gekommen. Es gebe zu wenig Kontrollen der Behörden, so die Sprecherin des Nachbarverbandes AAVV Playa de Palma, der viele Lizenzen in Frage stellt und seit Jahren gegen die Exzesse am Ballermann kämpft. Wie auf den Kanaren versprechen die Politiker, die Probleme anzupacken. Die Inselregierung unter Marga Prohens (konservative Partido Popular) hat 140 Vertreter von Verbänden, Hoteliers und Gewerkschaften für einen sozialpolitischen Pakt für Nachhaltigkeit einberufen. Währenddessen läuten Aktivisten einen heißen Protest-Sommer ein. Medienwirksam sind die „Strandbesetzungen“ der Gruppe Mallorca Platja Tour, die von Touristen überrannte Badebuchten „wiedererobert“. Die Aktion ist eine Reaktion auf die Empfehlung der Fraktionssprecherin der rechtspopulistischen Vox-Partei im Balearen-Parlament, die Insulaner sollten im Juli und August besser nicht an den Strand gehen. Die Videos vom Protest an der Bucht Es Caló des Moro, während der mehrere Hundert Aktivisten den Bilderbuchstrand mit Transparenten und Picknickkorb aufsuchten und der Polizei ihren Ausweis zeigen mussten, führte zu internationalen Schlagzeilen („Kampf um Influencer-Bucht“).
Überleben in Málaga
Ein Höllenlärm wie auf dem Rummelplatz herrscht nach Mitternacht an den Plätzen Uncibay und Mitjana, wo sich die Nachtschwärmer in Hundertschaften versammeln. An der Plaza Mitjana, einem kleinen quadratischen Platz mit drei- bis vierstöckigen Altbauten, lebt der Architekt Óscar Agudo. Selbst bei geschlossenem Fenster steigt der Lärmpegel bis auf 80 Dezibel. Nach einem Gerichtsurteil von 2022 musste Málagas Stadtverwaltung ihn und eine Handvoll weiterer Kläger entschädigen. „Es geht aber nicht darum zu zahlen, sondern darum, dass Problem zu lösen, und das tut Málaga nicht“. Die von der Stadt gemessenen Dezibel mögen niedriger sein als früher, „dafür ist hier jetzt das ganze Jahr lang Fiesta“, so Agudo, der weiterhin für sein Recht auf Ruhe kämpft. Viele seiner Mitstreiter haben das Handtuch geworfen, übrig geblieben sind nur die von ihm angeführten Los Trés de Mitjana.

Mit ihren freigiebigen Lizenzen hat die Stadtverwaltung den historischen Kern in eine Mega-Gastromeile verwandelt. Von Bars gesäumt ist auch die Plaza de la Merced mit dem Geburtshaus von Pablo Picasso. Dort und in den umliegenden Gassen halten wenige Hundert Nachbarn die Stellung. Was die Menschen hier längst wissen, wurde von der offiziellen Statistik bestätigt: Rund 70 Prozent der Wohnungen werden an Touristen vermietet. Ratternde Rollkoffer und feiernde Kurzeit-Nachbarn sind Alltag. Hier lebt seit vier Jahren Juan Manuel Prados. Dass in seinem Viertel nachts die Hölle los ist, raubt dem 32-jährigen Grafikdesigner mit Masterabschluss nicht den Schlaf. Als Single bewohnt er eine 60 Quadratmeter große Altbauwohnung für 700 Euro Kaltmiete. „In Málaga ein Privileg. Die neuen Nachbarn unter mir zahlen für zwei Zimmer 1000 Euro“. Juan Manuel arbeitet für den spanischen Modegiganten Inditex („Zara“), gibt ein Seminar an der Uni und jobbt gelegentlich am Wochenende in Bars. Auf mehr als 2.000 Euro netto kommt er trotz 60-Stunden-Woche nicht. „Mein Mietvertrag läuft in zwei Jahren aus. Ich glaube nicht, dann in Málaga eine bezahlbare Wohnung zu finden. Hier in der Gegend gibt es sowieso nur noch Airbnb. Kaufen? Eine vernünftige Wohnung ist unter 300.000 Euro nicht zu haben. Das finanziert mir keine Bank“.

An der Demonstration unter dem Motto „Málaga zum Leben, nicht zum Überleben“, auf der am 29. Juni Tausende durch die Altstadt zogen (5.000 nach Polizeiangaben, 25.000 laut Veranstalter), nahm Juan Manuel nicht teil. Der vom Mieterverband einberufene Protestmarsch war der erste dieser Art in Málaga. Seit Jahrzehnten lebt man an der Costa del Sol von und mit dem Massentourismus. Doch der hatte sich lange Zeit vor allem in den Hotelvierteln von Torremolinos bis Marbella abgespielt. Die Hauptsaison war kurz und nur wenige besuchten die eher unwirtlich wirkende Großstadt (570.000 Einwohner). Man blieb unter sich und konnte in der Nebensaison durchamten. Dann begann die Ära von Ryanair, Easyjet und Airbnb. Málaga profilierte sich als Museumsstadt, der Flughafen AGP wurde zum viertgrößten des Landes ausgebaut, der Hafen bekam einen riesigen Terminal für Kreuzfahrtschiffe. Die Altstadt erblühte in nie dagewesenem Glanz, ruinierte Altbauten wurden in schicke Hotels verwandelt. Irgendwann rieben sich alle die Augen und erkannten Málaga nicht wieder. Im Technologiepark jobben Softwareentwickler und Webdesigner aus aller Welt, Google eröffnete am Hafen sein erstes Zentrum für Cybersecurity in Europa. Die meisten Einwohner waren lange Zeit stolz auf ihre Stadt und zufrieden mit Bürgermeister Francisco „Paco“ de la Torre, einem moderat konservativen Vertreter der Partido Popular, der seit 2000 ununterbrochen von den Wählern im Amt bestätigt wurde, zuletzt 2023 mit absoluter Mehrheit. Doch irgendwann begann die Stimmung zu kippen. Über 140 Hotels, Pensionen und Hostals, 7.000 offiziell registrierte Ferienwohnungen in der Stadt und weitere 30.000 in den Gemeinden der Provinz, was ein Ausweichen in die Peripherie enorm erschwert: Das ist inzwischen selbst eingefleischten Anhängern des 81-jährigen Bürgermeisters zu viel. Und so entlud sich auf der Demo am 29. Juni, die von der regionalen Tageszeitung „Málaga Hoy“ als „historisch“ eingestuft wurde, die Wut vieler Bürger namentlich gegen Paco de la Torre, der bis dato nichts gegen die explosionsartige Ausweitung der Ferienwohnungen unternommen hat und sich gern hinter rechtlich-bürokratischen Ausreden in Deckung bringt. Vor Journalisten, Bürgern und auf X zeigte er zuweilen wenig Empathie. Die rasant steigenden Miet- und Kaufpreise seien eine logische Konsequenz erfolgreicher Stadtentwicklung. Einer verzweifelten Frau, die vor der Ratsversammlung ihre Not schilderte, entgegnete er: „Wer arbeitet, findet auch eine Wohnung“. Viele Bürger haben den Eindruck, Paco de la Torre setze sich mehr für Hotels und Luxusimmobilien ein als für bezahlbaren Wohnraum. „Wir sind selbst schuld, weil wir arm sind“, stand auf einem Plakat in Anspielung auf ein Statement des Stadtoberen, der die Wohnungsnot mit abgebrochenen Berufsausbildungen in Verbindung brachte.
Im Nachspiel des Protestmarsches bemüht sich der Bürgermeister um mehr Verständnis. Andere Amtsinhaber scheinen den Stimmungsumschwung bei den Bürgern nicht verstanden zu haben. „Viele Städte in Spanien und der Welt hätten gerne das Problem, das Málaga hat“, gab der Stadtrat für Tourismus zum Besten. Er und der Präsident des Tourismusverbandes Costa del Sol werfen den Initiatoren des Protests „Tourismusphobie“ und „Populismus“ vor. „Die Mehrheit der Bürger ist für den Tourismus“, sagt der Stadtrat und verweist auf eine Meinungsumfrage, bei der 80 Prozent der Befragten die Auswirkungen des Tourismus in der Stadt als positiv oder sehr positiv einschätzten.
Ach Du lieber Jakob
Selbst in Nordspanien, wo zuweilen mehr Regen fällt als in Hamburg oder London und man Massentourismus eher nicht vermutet, fühlen sich immer mehr Menschen von wachsenden Besucherströmen in die Ecke gedrängt. Santiago de Compostela, das Ziel der Jakobspilger, registrierte 2023 über 900.000 Übernachtungsgäste. Hinzu kommen Tagesbesucher in Autos, Reisebussen und mit der Bahn, zu Spitzenzeiten mehrere Tausend am Tag. Gemessen an der Einwohnerzahl (98.000) hat die Hauptstadt Galiciens mehr Touristen pro Kopf als Barcelona. In den Sommermonaten platzt die Altstadt aus allen Nähten. Der grandiose Platz vor der Kathedrale, in der gemäß der katholischen Legende die Gebeine des Apostels ruhen, ist die beliebteste Kulisse für Selfies und Stories. Fast eine halbe Million Pilger aus über 100 Ländern hatten sich 2023 in der Oficina del Peregrino registriert, so viel wie noch nie. Fast die Hälfte waren Spanier, bei den Ausländern stehen Amerikaner, Italiener und Deutsche an der Spitze. Nicht alle kommen aus religiösen Motiven, in den engen Gassen aus Granit und in den Tapasbars herrscht keine stille Andacht, sondern geht es feuchtfröhlich zu. Auch hier verdrängen Souvenirshops die angestammten Geschäfte, sind Hotels und Ferienwohnungen auf dem Vormarsch, die Einheimischen auf dem Rückmarsch. Jetzt will Santiago de Compostela, das seit dem Mittelalter an Pilger aus aller Herren Länder empfängt, nicht mehr so weitermachen wie bisher. Anbetracht des zunehmenden Unmuts verspricht die Bürgermeisterin Goretti Sanmartín das Wachstum zu begrenzen: Mehr Unterkünfte im alten Stadtkern sollen nicht mehr genehmigt werden, auch keine weiteren Wechselstuben, Gepäck-Schließfächer und Souvenirshops, von denen es bereits über Hundert gibt. Und auch über eine Touristensteuer wird nachgedacht. Was sagt Jakob wohl dazu?

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