top of page

Costa del Arte: Das globale Künstlerdorf

  • oliversdrojek
  • 6. Aug. 2021
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Okt. 2021

Genalguacil ist Andalusiens originellste Kunstgalerie unter freiem Himmel. Das abgelegene Dorf in den Bergen nordwestlich von Marbella zählt nur wenige hundert Einwohner und wird alle zwei Jahre zum Treffpunkt spanischer und ausländischer Künstler. In Kooperation mit den Einheimischen schaffen sie interdisziplinäre Werke, die dauerhaft auf den Straßen, Plätzen und in einem Museum ausgestellt sind. Die Kreationen führen einen Dialog mit der traditionellen Architektur und der Natur, die im Tal des Río Genal überraschend grün und artenreich ist.


Museumsdorf in Andalusien Kunstwerk auf dem Dach
Juan Zamora: „La sombra del Buitre“ (2014), Genaguacil Pueblo Museo

Jede Kurve ein Genuss: Die MA-8301 beginnt in Estepona und führt in Serpentinen durch die Sierra Bermeja. Der Asphalt schlängelt sich durch dichte, schattige Wälder mit Korkeichen, Kastanien und Pinien, die vereinzelt von der seltenen Pinsapo-Tanne (Abies pinsapo) überragt werden. Zwischen den Bäumen türmen sich rostbraune Felsbrocken auf, hier und da glitzern Bäche, rauschen kleine Wasserfälle. Am Aussichtspunkt Los Reales gleitet der Blick über das Naturschutzgebiet hinweg bis zur Serranía de Ronda. An den üppig bewachsenen Berghängen schimmern weiße Flecken: Pueblos Blancos, winzige Bergdörfer mit maurischen Namen wie Benarrabá oder Algatocín.


Die Gärten des Wesirs

Auch Genalguacil stammt aus jener Zeit, als Berberstämme aus Nordafrika die Gegend besiedelten, Bewässerungskanäle und Obstterrassen anlegten. Gema-Al Wacir („Die Gärten des Wesirs“) nannten sie den Ort. Die Fahrt von der Küste dauert eine Stunde. An der Einfahrt des Dorfes, das rund 400 Meter über dem Meeresspiegel liegt, grüßen zwei Schilder: „Pueblo Museo“ und „Genalguacil – Los Pueblos Más Bonitos de España“. Letzteres weist darauf hin, dass der Ort seit kurzem auch offiziell zu den „schönsten Dörfern Spaniens“ zählt. Gleich am Parkplatz das erste Kunstwerk: eine Skulptur aus braunem, fein marmoriertem Naturstein, die an einen Baum erinnert. Vielleicht eine Pinsapo-Tanne.

Genaguacil Pueblo Museo

Der Brunnen ist eines von 200 Kunstwerken, die man in Genalguacil betrachten kann. Die Werke sind das materielle Ergebnis der Encuentros de Arte, eines mehrwöchigen Treffens zwischen Einheimischen und Künstlern, das seit 1994 alle zwei Jahre stattfindet. Was die Maler, Bildhauer, Fotografen und Videokünstler während ihres Aufenthaltes in Genalguacil schaffen, wird ins Ortsbild integriert. In engen Gassen, an Hauswänden, Treppenaufgängen, Fenstern, Torbögen und auf Ziegeldächern wird der Betrachter mit abstrakten und figurativen Werken konfrontiert, die einen Bezug zur Umgebung herstellen. Viele sind aus Materialien, die aus der Gegend stammen: Baumstümpfe, Kork, Blüten, Keramik, Korbweide. Andere beschäftigen sich konzeptuell mit dem Ort, mit seinen Einwohnern von heute und gestern. Ein zentrales Thema ist die Natur.


Freiluft Museum Der Fernseher Genalguacil Andalusien
Ralf Kiwus: „Telereal“ (2010)

„Telereal“ heißt die Skulptur aus Holz, Beton und Keramiksplittern. Sie stellt eine Figur im Sessel vor dem Fernseher dar. Das Programm: der weite Ausblick in die Berge - hyperreal. Die fotogene Plastik wurde von dem aus Süddeutschland stammenden Bildhauer Ralf Kiwus für die Biennale 2010 geschaffen und ist wirkungsvoll in einen Aussichtspunkt integriert. An einem Hang bleibt der Besucher vor einem Relief mit expressiven Gesichtern stehen: Sie wurden aus den freiliegenden Wurzeln eines uralten Olivenbaums geschnitzt und sind das Werk von Sofia Ostos und Rafael Ocaña. Ein paar Meter davon entfernt an der Bushaltestelle trifft man auf den französischen Filmkomiker Jacques Tati („Die Ferien des Monsieur Hulot“). Am alten Dorfbrunnen fließt das Wasser aus den Mäulern dreier Esel, ein Werk des Bildhauers Juan Ramón Gimeno. Über einer schmalen Gasse spannt sich ein Bogen aus ausrangierten Stühlen, Fahrrädern und Blasinstrumenten. Die Installation „Arco de Viento“ („Windbogen“), 2016 von Isidro Lopez-Aparicio in Kooperation mit älteren Dorfbewohnern gefertigt, kreist um das Thema Erinnerungen.


Kultureller Hotspot

Was nicht wetterfest ist, kommt ins Museo de Arte Contemporáneo MAC. Das Museum mit über 1000 Quadratmetern Ausstellungsfläche ist nach Fernando Centeno López benannt, dem früheren Bürgermeister, der die Idee des Künstlerdorfes vorantrieb. Viele der im MAC präsentierten Werke sind multidisziplinär. So verbinden zum Beispiel die Französin Françoise Vanneraud und der Katalane José Medina Galeote in einer Installation für die Biennale 2018 Zeichnungen und Fotografien. Sie kreist thematisch um die Dorfgemeinschaft und das Valle de Genal. Einen ganzen Raum füllt die filigrane, schwebeleichte Installation „The Twins“ von Lola Guerrera. Sie ist aus tausenden getrockneten Blüten gefertigt ist und bildet je nach Blickwinkel Kreise, Ellipsen und Spiralen. In anderen Räumen sind Keramikarbeiten, Lichtinstallationen und Videos zu sehen.


Lola Guerrera: „The Twins“ (2020), Genaguacil Pueblo Museo

Kunst der Gegenwart in einem abgelegenen Dorf, das wie so viele andere von Überalterung und Abwanderung bedroht ist: In Genalguacil geht das Konzept auf. Vor der ersten Biennale von 1994 sank die Anzahl der Einwohner beständig bis auf dreihundert Nur wenige Besucher verirrten sich in das Dorf, trotz der Nähe zum Touristenmagnet Ronda (45 km). Drei Dekaden später ist es ein beliebtes Ausflugsziel, 2019 wurden über 20.000 Besucher gezählt. Es gibt ein charmantes Hotel, mehrere Casas Rurales und die Zahl der Einwohner geht auf die sechshundert zu. Zu den neueren Dorfbewohnern zählt Carlos Re: Der aus Argentinien stammende Maler packte vor 20 Jahren in Amsterdam seine Koffer. „Es war eine gute Entscheidung. In Genalguacil bin ich glücklich, integriert in alles, was mich umgibt: die Menschen, die Natur“. Durch das Fenster seines Ateliers blickt er über das grüne Tal, bei klarem Wetter reicht der Blick bis zum Felsen von Gibraltar. Seine expressiven Gemälde sind von den deutschen „Neuen Wilden“ beeinflusst. „Genalguacil hat mich verändert. Die Pandemie hier zu erleben, ist ein Segen. Hier ist man solidarisch, sengagiert sich. Die Ungewissheit ist eine Chance: Sie macht uns kreativ“.



Die Resonanz des Projekts „Genalguacil Pueblo Museo“, die Qualität der ausgestellten Werke, die Mobilisierung der Menschen vor Ort, Kunst als wirtschaftlicher Motor: 2019 wurde das kleine Dorf von der Stiftung „Fundación Contemporánea“ in die Liste der kulturellen Hotspots Spanien aufgenommen. Sie beruht auf einer Umfrage unter tausend Kulturschaffenden aus Bildender Kunst, Schauspiel und Literatur.




Commenti


©2021 Oliver Sdrojek. Erstellt mit Wix.com

    bottom of page